Fresko im mittelalterlichen serbisch-orthodoxen Kloster Visoki Decani im Kosovo
Jesus in der Synagoge
Durch einen rechteckigen Bildrahmen wie durch eine große Tür treten wir in den Synagogenraum ein. Der Synagogenraum ist in einem Halbkreis gebaut, die Synagogenwände sind mit Altrosa gemalt. In der Mitte des Raumes, neben einem Ambo, auf dem ein Buch liegt, steht Jesus und liest aus diesem Buch vor. Hinter Jesus ist eine Tür mit Türmen zu sehen, vielleicht ist das der Eingang in die Synagoge. Rechts und links von der Tür sitzen Menschen, drei rechts und drei links. Auf der linken Bildhälfte steht hinter den drei sitzenden Männern noch ein Mann. Beim Betrachten des Bildes merken wir, dass wir in das auf dem Bild dargestellte Geschehen miteinbezogen sind. Als ob der Halbkreis auf dem Bild durch einen Halbkreis in der realen Welt des Betrachters zum vollständigen Kreis abgeschlossen wird. Wir befinden uns in der Reihe der Männer, die im Halbkreis sitzen und unsere Augen sind genauso wie ihre auf Jesus gerichtet. Der Hintergrund des Bildes ist dunkel, indigoblau. Dadurch wird eine Atmosphäre der Tiefe und des Geheimnisvollen geschaffen.
Was bedeutet aber die geometrische Symbolik, die hier so stark ausgedrückt ist? Zuerst der äußere rechteckige Bildrahmen: Die Vier als Zahl ist ein Symbol für das Irdische. Die vier Seiten des Bildrahmens beziehen sich also auf das Irdische. Zugleich wird durch das Einrahmen etwas in sich Abgeschlossenes dargestellt. Wir haben vor uns eine Scene aus dem irdischen Leben, in der etwas Transzendentes durch-scheint und sich in dieser Situation konkretisiert (Interessanterweise nimmt das Transzendente, das Geistige in dem „Irdischen“ einen großen Raum ein): Das in Jesus Menschgewordene Wort Gottes. Die-se Wirklichkeit wird auch durch die räumliche Darstellung zum Mittelpunkt des Bildes deutlich: Jesus steht in der Mitte des Raumes. Der Synagogenraum hat die Form eines Halbkreises. Ein Halbkreis oder Kreis stellt eine Ganzheit dar, etwas in sich Geschlossenes. Es sind die Formen des Aufnehmens, des Aufbewahrens. In der Mitte des Kreises steht Jesus, das Wort Gottes. Im Halbkreis um ihn herum sitzen bzw. stehen Menschen, die ihm zuhören. Auf dem Bild sind sieben Männer dargestellt. Auf der rechten Bildfläche sehen wir drei sitzende Männer, auf der linken Bildfläche genauso drei sitzende Männer und hinter ihnen, nahe der Tür, steht noch ein Mann. Die Sieben gilt als heilige Zahl. Am Anfang des Buches Genesis lesen wir, dass Gott die Welt in sechs Tagen geschaffen hat und am siebten Tag ruhte er. So sind die sechs Schöpfungstage mit dem siebten Tag, dem Ruhetag, zu einer Ganzheit verbunden. Doch es bleibt nicht bei dieser Ganzheit, aber diese weist auf eine folgende Ganzheit hin, auf den achten es-chatologischen Schöpfungstag der Auferstehung. Vielleicht kann man auch in den sieben Menschen die Schöpfung sehen und in Jesus, dem achten Menschen, die eschatologische Acht, die auf seine Auferste-hung hinweist und mit der Auferstehung Jesus die Vollendung der Ganzen Schöpfung. Der Halbkreis kann dann symbolisch auf die ganze Welt hinweisen.
Den Kreis sehen wir hier noch einmal vollständig, nämlich als der Heiligenschein um den Kopf Jesu. Der Heiligenschein drückt die Heiligkeit, die Vollständigkeit, die Ganzheit aus.
Weiter zu der Symbolik der Sieben: Die Sieben ist eine additive Zahl, die aus Drei und Vier besteht. Vier symbolisiert das Irdische, Drei das Himmlische. So weist die Sieben noch einmal auf das Durchdringen der Transzendenz, des Himmlischen in das Irdische und dessen Verbindung. In der Person Jesus, der als der achte Mensch auf dem Bild dargestellt ist, ist das Göttliche mit dem Menschlichen verbunden.
Farbkomposition und –symbolik des Bildes:
Die dominierenden Farben sind Dunkelblau, Rosa und Grün-Blau, Türkis. Der Hintergrund ist dunkel, Indigo Blau. Blau weist auf Geistigkeit, auf eine Transzendenz hin. Das Blau auf dem Bild vermittelt den Eindruck, sie durchdringt die Welt der Menschen, oder umgekehrt: aus dem Geheimnisvollen wird etwas sichtbar. Das Blaue tritt in den Synagogenraum ein und in Jesus nimmt das Transzendente Gestalt an. Darauf deutet das dunkelblaue Gewand Jesu hin. Zugleich weist das blaue Gewand auf einen geistigen Menschen hin. Auch die Gewänder drei Männer haben blaue Anteile.
Der Synagogenbau ist in Altrosa gemalt. Rosa ist die Farbe der Zartheit und Zärtlichkeit. „Sie ist körper-nahe Farbe und als solche hat sie mit der Zartheit des menschlichen Leibes zu tun.“ Wollte der Maler durch das Rosa des Synagogenbaus auf eine Sensibilität für das Wort Gottes hinweisen? Oder die Zärt-lichkeit Gottes für den Menschen betonen? Rosa hat auch eine zentrale Stellung in der geistig-seelischen Ordnung. Vielleicht hat auch aus diesem Grunde der Maler für die Wände der Synagoge, als einem geistigen Raum, Rosa als Farbe benutzt.
Der Boden der Synagoge ist grün-blau, türkis. Türkis ist aus grün, der Farbe der Hoffnung und der Be-ständigkeit einerseits und Blau, der Farbe der Tiefe andererseits, gemischt. So steht Türkis zwischen Hoffnung und Tiefe. Sie weist auch auf eine bestimmte Einsamkeit hin. Interessant ist, dass nur die Füße Jesu diesen grün-blauen Boden berühren. Die Füße der Männer ruhen auf gelben Gestellen. „Der Pro-zess der Gelbung gilt als wichtiges Reifestadium, in dem die rohe Materie, über die Schwärzung und Weißung zur Rötung und schließlich zum grünlichen Gold verwandelt wird.“ Weist das Gelb in diesem Zusammenhang auf den Prozess der Verwandlung eines Menschen unter der Wirkung Gottes hin?
Zusammenfassend zu diesem Bild:
Öfters ist hier symbolisch Ganzheit dargestellt: durch einen rechteckigen Bildrahmen; durch den halb-kreisförmigen Grundriss der Synagoge, der auf die ganze Welt hinweist; durch die Zahl „Sieben“, die im biblischen Verständnis die Fülle bedeutet und darüber hinaus auf eine andere, vollständigere Ganzheit hinweist, auf die Ganzheit in der Transzendenz, die mit der Zahl „Acht“ symbolisiert ist.
In die irdische Ganzheit dringt Transzendenz, Geistigkeit durch und weist auf die Hinführung der irdi-schen Ganzheit in die eschatologische. Das drückt die Zahl „Acht“ aber auch die Indigo-Farbe aus. Figu-ral stellt das die Gestalt Jesu dar.
Schw. Judit M. Vrbská OSC