Klášter sester klarisek 

Taufe des Herrn

 

 

 
 

Taufe des Herrn

 

„Eine Stimme kam vom Himmel: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“

Dieses Geheimnis stellt eine Miniatur aus dem Hidta-Codex um Jahr 1020 dar.

In der rechten unteren Bildhälfte sehen wir Jesus, der bis zur _ Körpermitte im Flusswasser des Jordans steht. Er steht auf dem Flussboden, er ist bis in die Tiefen des Wassers durchgedrungen. Das Wasser quillt aus der Tiefe der Erde. Auf dem Bild ist das durch die liegende Männergestalt auf dem linken unteren Bildrahmen dargestellt. Auf seinen Kleidern steht der Flussname „Jordan“ und zwischen seinen Füssen hält er einen Krug, aus dem der Fluss strömt. Die Flussquelle ist in der Gestalt des Mannes personifiziert. Die Wassertiefen haben ihr eigenes Leben, geheimnisvoll, mit seinen bezaubernden und bedrohenden Lebenswesen. Aus diesem Grunde hat das Wasser eine Beziehung zum Unbewussten, zum Dunklen, zur Nacht. Das Unbewusste verbirgt aber auch ein großes Potential an geistlicher Energie und spezifischen Formen von Wissen und Weisheit. Jesus taucht in diesen Raum ein, mit seinen Füssen betritt er den Flussboden. Bedeutet das, dass Jesus als Mensch mit den Tiefen des Seins ins Berührung kommt und zugleich mit seinen eigenen Kräften und Energien, die in den Tiefen seiner Seele verborgen sind? Als Gegenpol zu den Tiefen der Erde und den Seelentiefen ist hier der Himmel, das Geistliche. Der Himmel, dargestellt durch einen Bogen mit Sternen, wird durchbrochen, und auf Jesus steigt der Hl. Geist in der Gestalt einer Taube hinab. Dabei ist eine Stimme zu hören: „das ist mein geliebter Sohn, an ihm habe ich mein Gefallen. Die Dimension der Vertikale ist faszinierend: Die größten Tiefen mit den höchsten Höhen sind hier verbunden, nämlich durch die Gestalt Jesu. Man kann sagen, dass gerade Jesus diese Vertikale bildet.

Das Wasser, in das Jesus eintaucht, ist ein Fluss. Die hl. Schrift spricht vom Fluss Jordan. Der Fluss steht symbolisch für das Leben. Jesus taucht in das Leben. Er kommt in _ Kontakt mit seinen hellen wie dunklen Seiten. Er lässt sich durch das Dunkle verletzen. Wie geht er mit der Verletzung um? - Auch in diesem Sinne lässt sich die Taufe als ein Initiationsritus (Einweihung) verstehen. - Jesus ist mit seinem ganzen Wesen _ seinem Vater zugewandt. Von seinem Vater bekommt er auch eine Antwort. 

Es bleibt noch den mittleren Teil des Bildes zu erwähnen, das „greifbar menschliche Leben“. In der linken Bildfläche ist die Gestalt Johannes des Täufers zu sehen. Er steht am Uferrand und seine Füße sind in das Flusswasser eingetaucht. Seine rechte Hand berührt den Kopf Jesu. Johannes und Jesus, Gestallten, die sich im Laufe des Lebens ein paarmal flüchtig begegnen. Ihre Begegnung wirkt wie eine flüchtige Begegnung zweier geistlich sich nahestehenden Menschen.

Vielleicht noch etwas zu der Farbkomposition des Bildes: Das Bild ist blau-braun gestimmt. Weiß-blau, durchsichtige Flusswasser des Jordans, ins grau-blau-grün gehende Flussboden mit braunen Furchen, braune Umrisse im Fluss schwimmenden Fischen, blau-graue Hintergrund über der Erde und klares Blau des Himmels mit weißen und braunen Sternen. Johannes der Täufer ist mit einem braunen Gewand angezogen und trägt eine weiße Schärpe, das Ufer mit Bäumen ist auch braun gestimmt. Auch an den sichtbaren Körperteilen beider Männerfiguren sind braune Schattierungen, der Erde ähnlich, zu erkennen. Dem Körperbraun ist weiß beigemischt, das den Körpern Klarheit und Geistlichkeit zuteilt. Drückt das unseren Glauben aus, dass der Mensch aus Erde geschaffen ist und durch den Geist Gottes belebt wird? Auf Jesus steigt die weiße Taube herunter. Ihre weiße Farbe strahlt auf dem ganzen Bild am stärksten.

Zusammenfassend lässt sich zu diesem Bild sagen: Vor uns steht die umfassende und mächtige vertikale Verbindung zwischen den Tiefen des Seins einerseits und den Höhen des Geistlichen andererseits, was in Jesus dargestellt wird. Er ist der, der in die Tiefen hinuntersteigt. (Nach seinem Tod steigt er in die Unterwelt hinunter, um Adam und Eva zusammen mit anderen Menschen von hier herauszuführen). Im Augenblick des Abstiegs in die Tiefen bricht der Himmel durch. Gott sendet seine Kraft und Weisheit (als den Hl. Geist).  

 
Sr. Judit M. Vrbská OSC